Mit dem Motorrad auf dem höchsten befahrbaren Pass der Welt

Bild+Text: Josef Fritz (Josef ~ Sepp ~ Jussuf) 

Es ist Anfang September 1998 und ziemlich kalt. Wir (mein Kumpel Jörg und ich) befinden uns in Nord-Indien, mitten im Himalaya Gebirge, genauer gesagt in Kashmir.

Ich liege in meinem Zelt und kann nicht schlafen. Kein Auge hab ich zugemacht, und das seit Stunden. Müde genug wär` ich ja ... wenn da nicht der bohrende Kopfschmerz wäre und ... ja, es sind die Geschütze, die in regelmäßigen Abständen seit etwa vier Stunden feuern. Ganz in unserer Nähe, keine 5km entfernt. Es ist fast 3.00 Uhr. Plötzlich die leise Stimme von Jörg, der ein paar Meter weiter in seinem Zelt ebenso unruhig ist: „Bist du wach, Sepp? Ich glaube wir packen zusammen und versuchen's noch einmal!

Wie ist das alles gekommen? Warum bin ich eigentlich hier? Aber erst einmal der Reihe nach: Mir klingen die Worte aller freundlichen Leute noch in den Ohren: „No problem, Sir! You can go! No problem for you!” So war die einhellige Auskunft aller Befragten zwischen Delhi und dem umkämpften Kashmir: Wir wollten mit den Motorrädern die Stadt Leh in Ladakh erreichen, um dann von 3500m Meereshöhe auf den höchsten befahrbaren Pass der Welt zu gelangen, den Khardong La in 5606m Höhe. Die einzige Teerstraße ins Nubra-Tal ist zugleich eine Sackgasse: Ende der indischen Welt, Grenze nach Pakistan.

Die Passhöhe liegt 39km von Leh entfernt. Die Straße wird dank ihrer strategischen Bedeutung die meiste Zeit des Jahres schneefrei geräumt und das ganze Jahr über immer wieder ausgebessert.

Aber noch sind wir in Kashmir, 50km vor Kargil. Die schmale Straße dorthin verläuft nur ca. 20km von der pakistanischen Grenze entfernt ... und liegt angeblich unter Beschuss aus den umliegenden Bergen. Der Militärposten ließ am Vorabend nicht mit sich verhandeln, Durchfahrt verboten. Eine Umkehr und der andere Weg nach Ladakh/Leh hätte eine ca. 1500km Rundreise bedeutet; keine Spazierfahrt mit unseren schwer aufgepackten BMWs. Als wir morgens um 4.00 Uhr beim Militärposten wieder erscheinen, berichtet dieser von Granateinschlägen und will uns wieder nicht weiter lassen.

Nach einer halben Stunde Verhandlungen und  der Zusicherung unsererseits, schnell, unauffällig und ohne Pausen das gefährliche Teilstück von ca. 50km hinter uns zu bringen, lässt man uns endlich fahren. Bedingung ist, dass Jörg seinen weißen Motorradhelm mit einem dunklen Tuch umbindet, um die Heckenschützen nicht herauszufordern.

Geschafft! Wir sind erleichtert, als wir ohne Probleme Kargil erreichen. Am Ortausgang passieren wir allerdings zwei Militär-LKWs. Beide sind vollkommen ausgebrannt und weisen einen Volltreffer im Dach des Führerhauses auf. Das komische Gefühl in meiner Magengegend verstärkt sich wieder... Schnell fahren wir an den noch rauchenden Trümmern vorbei und sind froh, als die Sonne in der grandiosen Bergwelt des Zanskar-Gebirges aufgeht und uns die letzte Nacht vergessen macht.

Die nächsten zwei Tage verbringen wir in Alchi, um dort die 1000 Jahre alten Tempel zu besichtigen. Sie gehören zu den wertvollsten Kunstschätzen im West-Himalaya und weisen hervorragend erhaltene Wandmalereien auf. Die Gegend ist fruchtbar und grün: Die Bauern ernten zweimal im Jahr Aprikosen.

Danach steht Leh auf unserem Programm, wo wir drei Tage verbringen. Leh liegt 10km nordöstlich des Indus am Ausgang eines fruchtbaren Seitentals in 3500m Höhe. Neben der Passfahrt auf den Khardong-Pass verbringen wir die Zeit mit Ausflügen in die nähere Umgebung: Ein Besuch im berühmten Kloster Thikse sowie Besichtigung der Stadt, die auch Ausgangspunkt für viele Trecking-Touren ist. Eine Magen-Darm-Infektion und die ungewohnte Höhe machen mir zu schaffen und ich bin froh, nicht jeden Tag aus Motorrad steigen zu müssen. Nach drei Tagen Pause habe ich mich wieder erholt und wir können weiter:

Unser nächstes Ziel heißt Spiti: ein Tal, das erst vor wenigen Jahren für den Tourismus freigegeben wurde und uns nah an die Grenze nach Tibet führt. Nach einem Tag Zwangspause wegen Schneefall wagen wir die Überfahrt über einen mit über 50 Kehren gespickten Schotterpass.

Nach dieser strapaziösen Anfahrt bessert sich das Wetter, und wir kommen ins Spiti-Tal, das uns mit vielen landschaftlichen Höhepunkten empfängt. Wie klein sind doch im Vergleich unsere Alpen und Täler: Die Ausmaße und Eindrücke sind überwältigend.

Die Weiterfahrt durch das Tal wird uns allerdings von einem Bergrutsch verwehrt. Mit der Räumung sind die Straßenbauer schon seit zwei Monaten beschäftigt und es ist noch kein Ende abzusehen. Also wieder zurück über die schlechte Straße, die nur wenige Meter neben einem Flussbett verläuft bzw. immer wieder durchs Wasser führt. Steine aller Größen zwingen uns in die tiefen Spuren der LKWs, die voller Schlamm sind. 80km Tages-Streckenleistung sind eine Strapaze für Mensch und Maschine. Wir sind aber im Zeitplan und befinden uns schon auf dem Rückweg über Manali nach Delhi.

Am Frachtflughafen in Delhi sind wir froh, unsere Holzkisten mit den auseinandermontierten BMWs gegen ein kleines Trinkgeld in sichere Verwahrung geben zu können. Unser indischer Agent, ohne den überhaupt nichts läuft, schafft es sogar, die Zollformalitäten innerhalb von zwei Tagen zu erledigen. Für umgerechnet 300 DM Gebühren aller Art (pro Motorrad) sowie ca. 1000 DM Frachtkosten bei Lufthansa Aircargo ist der Rücktransport als „Gefahrengut“ gewährleistet.

Schwüle Hitze, Dreck und Verkehr sowie der allgegenwärtige „Bakschisch-Verwaltungsapparat“ Indiens lassen uns die menschenleeren Hochgebirgsregionen, die wir fast vier Wochen lang durchfahren und erlebt haben, wieder herbeisehnen ...

 

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